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Ich bin sehr vielseitig, vorallem aber bin ich sehr aufgeweckt und neugierig und meist nicht zu bremsen. ;)

Mittwoch, 27. Februar 2013

Herzfenster und Augenfenster

Lieber Mister Gott!
Heut schreib ich Dir über mein Freund Fynn. Es gibt
ja welche, die nicht genau wissen, wie Fynn ist, und
das find ich traurig, weil Fynn, das ist der beste
Mensch von der Welt. Er ist sehr groß und stark, aber
er ist trotzdem sehr nett und sehr lieb. Er kann mich
mit Schwung in die Luft werfen und dann auch wieder
auffangen.
Wie ein schöner Baum aus Mensch ist er. Aber das
weißt Du ja auch. Fynn sagt, wenn man in ein Haus
wohnt, wo die Scheiben ganz schmutzig sind, und
guckt raus, dann meint man, die Welt draußen ist so
schmutzig, dabei ist sie es gar nicht. Und wenn man
von draußen reinguckt ins Haus, dann denkste, es ist
innen ganz schmutzig, aber das stimmt auch nicht. Es
sind immer nur die Fenster, die schmutzig sind. Und
Fynn sagt deshalb, nämlich, daß alle Menschen zwei
verschiedene Arten von Fenstern haben: die
Augenfenster, davon haben sie zwei, und das
Herzfenster, davon hat jeder nur eins. Die
Augenfenster sind da, um rauszugucken, und das
Herzfenster ist da, um nach innen reinzugucken. Wenn
man weint, sagt Fynn, dann ist das nicht nur wegen
was Traurigem. Es ist auch dafür, daß man mal die
Augenfenster putzen muß. Wenn sie dann sauber
geworden sind von den Tränen, kann man besser
durchgucken, und dann ist die Welt wieder viel heller
als vorher. Manchmal guck ich lieber durchs
Herzfenster wie durch die Augenfenster. Weil,
draußen kenn ich bald alles, was es zu sehen gibt.
Aber wenn ich durchs Herzfenster nach innen
reinguck, da seh ich immer Neues. Bei mir auch. Denn
von innen, sagt Fynn, kennt sich niemand so gut, wie
er seinen Garten kennt oder die Leute von gegenüber.
Und das ist, weil das Herzfenster aus anderem Glas
ist. Nach draußen, durch die Augenfenster, sieh-ste
meistens klarer, findet Fynn. Aber ich glaub, ich seh
mit dem Herz besser.
Einmal hab ich Fynn gefragt, ob er was Süßes für
mich hat, und er hat gesagt, nee. Da war ich enttäuscht
und hab meine Augenfenster ein bißchen geputzt. Da
war der ganze Schmutz von meiner Enttäuschung über
keine Süßigkeiten drauf. Fynn hat mich an der Hand
genommen, und wir sind vor den großen Spiegel
gegangen. Da hab ich mich wie durch ein vollgespritztes
Fenster gesehn, wo der Regen runterläuft.
Das waren meine Tränen.
Jetzt ist es genug, hat Fynn gesagt. Das war schon eine
Vollwäsche. Und wie ich aufgehört hab und die
Tränen eingetrocknet waren, hab ich mich im Spiegel
wie auf Hochglanz gesehn und Fynns Gesicht auch.
Es lachte von einem Ende bis zum ändern. Das war
genauso schön zu sehen, wie was Süßes zu essen.
Fynn sagt: Ich würd dir ja was kaufen, Fratz, aber ich
hab kein Geld mehr. Ich hab meine letzten Moneten
gebraucht, um für Mrs. Barker Erdnüsse zu kaufen.
Die braucht sie, um sie wieder zu verkaufen, weil sie
Geld braucht, um für ihre Kinder was zu essen zu
kaufen. Verstehst du?

Nee, sag ich. Wieso gibst du Mrs. Barker Geld für
Erdnüsse und mir nicht? Manchmal bist du sehr
umständlich, wenn du was Gutes tun willst. Genau
wie Du, Mister Gott, deshalb sag ich ja auch immer,
der Fynn ist Dir ähnlich . . .
Ich merke schon, die Sache mit Mrs. Barker muß ich
genauer erklären. Es war so: Mrs. Barker war eine nette
kleine Frau, die vor dem Kino Erdnüsse verkaufte.
Genauer gesagt, sie ging mit ihrem Korb voller
Erdnußtüten von einem Kino zum ändern. Eines Abends
sah ich sie sehr bekümmert dastehen. Ihr Korb war leer,
aber nicht, weil sie total ausverkauft war, sondern weil
sie so knapp bei Kasse war, daß sie beim Großhändler
nur für zwei Schillinge hatte einkaufen können. Dafür
bekam sie nur ein paar Schaufeln Erdnüsse, die ergaben
so zehn oder zwölf Tütchen voll. Im Nu waren die weg,
aber verdient hatte sie daran weniger, als man für ein
Pfund Brot und ein paar Wurstzipfel zahlen muß.
Mrs. Barker sah sehr verzweifelt aus. Sie traue sich gar
nicht mehr zu ihren Kindern heim, sagte sie. Und da tat
sie mir so leid, daß ich ihr meine zwei letzten Pfundnoten
gab und dachte, dafür kriegt sie einen Zentner Erdnüsse
auf Vorrat - oder zumindest einen halben Zentner, na,
sagen wir einen viertel Zentner. Dafür müßte es reichen.
Sie wollte das Geld aber nicht annehmen, weil sie wußte,
daß ich auch nicht gerade reich war.
»Na gut. Ich hab eine andere Idee«, sagte ich. »Dann
besorge ich Ihnen die Erdnüsse. Ich meine, ich liefere sie
Ihnen frei Haus. Sie brauchen sie nur noch einzutüten
und zu verkaufen - zu Höchstpreisen, versteht sich.«

Da strahlte sie mich an, als hätte ich ihr einen
Heiratsantrag gemacht. Man muß nämlich wissen, daß sie
zwar Kinder hatte, aber keinen Mann, der für die Familie
die nötigen Erdnüsse angeschafft hätte.
Und so kam es, daß ich kein Geld übrig hatte, um für
Anna Süßes zu kaufen, und ihr klarmachen mußte, daß es
gewissermaßen Süßeres gab als was Süßes zum Naschen.
Gut, ich hätte ihr den Fall auch mit weniger Worten
erklären können, und sie hätte sicherlich sofort
verstanden, warum die muffigen ollen Erdnüsse für Mrs.
Barker viel wichtiger waren als was Süßes für Anna, ja
wichtiger vielleicht als alles andere, was Anna sonst für
wichtig hielt. Selbst wichtiger als Mister Gott - jedenfalls
im Augenblick und für Mrs. Barker. Doch zurück zu
Annas Brief:
...Wer Fynn mag, der muß genau in sein Herzfenster
reinschauen, damit er ihn auch ganz richtig sehen
kann. Dem Fynn sein Herzfenster kann nie schmutzig
werden, weil Fynn, der hat so eine Art oder Kunst, ich
weiß nich, aus allem, das schmutzig oder staubig ist,
so was Schönes wie Edelsteine oder Diamanten zu
machen. Oder aus einem U-Bahn-Fahrschein einen
gezackten Stern und aus ollen Lumpen eine bunte
Puppe. Man kann das aber nur durch dem Fynn sein
Fenster sehen. Sonst bleibt es ein Stück Dreck oder
ein Lappen oder ein abgefahrener Fahrschein. Und
wenn man nicht in Fynn reinsehen kann, dann kann
man ihn auch nicht richtig von außen erkennen. Weil,
auch bei Fynn ist das meiste von ihm innen. Wie bei
ein Engel oder fast wie...

Anna

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